Für die biologische Bewertung von Medizinprodukten können nach ISO 10993 jetzt auch tierversuchsfreie Testmethoden zum Einsatz kommen. Damit das möglich werden konnte, war viel Forschung notwendig. Eine, die maßgeblich zu diesem Ergebnis beigetragen hat, ist Dr. Elisabeth Mertl, Biotechnologin und OFI Expertin für Medizinprodukte. Für die Erkenntnisse, die im Rahmen des Forschungsprojekts „BioRelation“ entstanden sind, und den Grundstein, der damit für die Umgestaltung von Standards gelegt wurde, durfte das OFI den Living Standards Award 2022 in der Kategorie „Enabling Solutions“ entgegennehmen.
Alternativen zu Tierversuchen
Tierversuche verursachen jedes Jahr bei rund 100 bis 300 Millionen Mäusen, Ratten oder Kaninchen weltweit Schmerz und Leid. Nicht nur Tierschutzorganisationen warten hier schon lange auf Änderungen. Mit dem Forschungsprojekt „BioRelation“ hat das OFI das Ziel verfolgt, eine validierte In-vitro-Screening-Methode zu entwickeln, die als Alternative zu Tierversuchen für die qualitative und quantitative Bewertung der sensibilisierenden und reizenden Eigenschaften von Medizinprodukten eingesetzt werden kann.
Maßgeblich an dem Projekt beteiligt war Dr. Elisabeth Mertl, Biotechnologin am OFI. „Im Rahmen des Forschungsprojekts ‚BioRelation‘ ist es uns gelungen eine Strategie zur Risikobeurteilung von komplexen Materialien und Medizinprodukten mit Hilfe von Bioassays und chromatographischen Methoden zu erarbeiten, die zur Charakterisierung der Biokompatibilität herangezogen werden kann.“ Konkret wird dazu mit Zellsystemen gearbeitet, wie Mertl erklärt: „Wir verwenden 3D-Hautmodelle, bringen diese mit einem Extrakt des zu prüfenden Medizinprodukts in Verbindung und können dann ganz genau beobachten, wie die Zellen darauf reagieren. Je nachdem, ob sie sich verändern, sterben oder gar nicht reagieren, lässt sich das Risiko bewerten.“
Durch die Entwicklung alternativer Teststrategien zu Tierversuchen können sich die Hersteller von Medizinprodukten auf ethisch korrekte Testsysteme verlassen. In-vitro-Tests können bereits in einem früheren Produktentwicklungsstadium durchgeführt werden, so helfen sie bei Produktoptimierungen und liefern schnellere Ergebnisse als Tierversuche.
Mittlerweile haben tierversuchsfreie Ansätze zur Risikobewertung, wie die vom OFI im Rahmen des Forschungsprojekts „BioRelation“ entwickelte Methodik, auch Einzug in die Norm ISO 10993 gefunden. Tierversuche sind zwar immer noch Teil der Norm, aber In-vitro Methoden werden als anerkannte Alternative geführt. Das war nur möglich durch angewandte Forschung, wie sie das OFI als Mitglied der ACR (Austrian Cooperative Research) betreibt, und durch aktiven, interdisziplinären Austausch.
„Forschung und Standards unterstützen sich gegenseitig“
Am Donnerstag, 19. Mai 2022 wurde in Wien zum achten Mal der Living Standards Award verliehen. Österreichs bedeutendster Preis für Standardisierung und Innovation ging heuer an Projekte aus dem Gesundheits- und Technologiesektor.
Für die Leistungen, die das OFI im Rahmen des Forschungsprojekts „BioRelation“ erbracht hat, und die Möglichkeiten, die u.a. dadurch für die Weiterentwicklung der Norm ISO 10993 entstanden sind, konnte das OFI den Living Standards Award 2022 in der Kategorie „Enabling Solutions“ mit nach Hause nehmen.
„Standards und Forschung unterstützen sich gegenseitig“, meint Dr. Elisabeth Mertl, die sich mit ihrem Know-how auch im nationalen Komitee der Austrian Standards für Medizintechnik sowie in der internationalen Arbeitsgruppe für Sensibilisierungstests einbringt. „Forschung hilft den Standards am aktuellen, wissenschaftlichen Stand zu bleiben. Standards helfen der Forschung, indem sie zu Akzeptanz und breiterer Anwendung von neuen Erkenntnissen beitragen.“
Über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, dem Start-up-Bereich und der Verwaltung waren bei der virtuellen Zeremonie anwesend. Über 30 Einreichungen zeigten nicht nur die ungebrochene Innovationskraft Österreichs, sondern verdeutlichten auch die – oft unbemerkte – Rolle, die Standards dabei spielen.
Mit welchen innovativen Ideen die Preisträger in den anderen Kategorien überzeugen konnten, erfahren Sie direkt bei Austrian Standards International.