Extractables & Leachables (E&L)
Viele Materialkonformitätsprüfungen sind abhängig vom Vorliegen einer Rezeptur. Die Risikobewertung von nicht näher spezifizierten Kunststoffen gleicht demgegenüber der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen!
Um ein tatsächliches Gefährdungspotenzial abschätzen zu können, ist es notwendig möglichst alle Substanzen zu erfassen, die vom Kunststoff in das Füllgut migrieren. Erst auf Basis eines solch breiten Screenings kann das Risiko, ein toxisches Gefährdungspotenzial zu übersehen, minimiert werden.
Im ersten Teil, der Extractables-Studie, werden alle Substanzen erfasst, die sich im Worst Case aus dem Verpackungsmaterial herauslösen. Im zweiten Teil, der Leachables-Studie, werden diejenigen Substanzen erfasst, die unter Realbedingungen aus dem Verpackungsmaterial in das Präparat migrieren.
In den Extractables-Studien werden die Kunststoffe typischerweise Extraktionen mit 2-3 Lösungsmitteln unterschiedlicher Polarität unterworfen, wie z.B. Wasser, Ethanol und Dichlormethan. Zusätzlich werden unterschiedliche Extraktionsmethoden angewendet, wie z.B. Soxhlet- plus Ultraschallextraktion, um eventuelle Veränderungen durch die Extraktion selbst zu erfassen. Typischerweise kommt es hierbei z.B. zur Hydrolyse von Carbonsäureestern, wonach auch die korrespondierende Säure mitberücksichtigt werden muss. Andere verbreitete Extraktionsmethoden sind Rückfluss, Hochdruckflüssigkeitsextraktion oder Mikrowelle.
Lösungsmittel und Extraktionsmethode werden dabei so gewählt, dass sie hinsichtlich der chemischen Parameter ein Worst-Case-Szenario des tatsächlichen Einsatzgebietes ergeben. Schließlich sollen diejenigen Substanzen ermittelt werden, die mögliche Leachabels sein könnten. So ist es zum Beispiel sehr unwahrscheinlich, dass extrem lipophile Substanzen, in eine rein wässrige Lösung migrieren.
Bei der Risikobewertung – ggf. kombiniert mit einer Simulations-Studie mit dem Realprodukt – wird schließlich eine Eingrenzung der möglichen Leachabels auf die wahrscheinlichen Leachables vorgenommen.
Sofern bedenkliche Leachables ableitbar sind, werden über den Lagerzeitraum der Stabilitätsstudien des pharmazeutischen Produktes, die Leachables-Studien durchgeführt. Die Untersuchung über den gesamten Lagerzeitraum ist notwendig, da sich das Verhalten von Polymeren im Laufe des Lebenszyklus ändern kann. Im Rahmen einer Lagerdauer von 24 Monaten und mehr, altern Polymere und können z.B. Additive und andere Substanzen leichter freisetzen, als unmittelbar nach ihrer Herstellung. Ebenso können sich Reaktionsprodukte von Restmonomeren und anderen Substanzen bilden, die erst nach längerer Zeit erkennbar werden.
Chromatographie gibt Antworten
Die Analyse der Extrakte erfolgt typischerweise mittels chromatographischer Methoden, HPLC und GC, wobei meist eine Kombination von Detektoren eingesetzt wird. Eine 100%-ige Erfassung aller Substanzen ist per se nicht möglich, da jede Substanz nur mit einer beschränkten Anzahl von Detektoren sichtbar ist. Durch Anwendung mehrerer Detektoren wird dieses Risiko minimiert. So wird typischerweise mit der HPLC sowohl UV/VIS als auch MS eingesetzt, und bei der GC FID und MS.
Als direkte Analysenmethode kann auch die Headspace-GC-MS eingesetzt werden, in der der Kunststoff in einem geschlossenen System erhitzt wird und diejenigen Substanzen gemessen werden, die aus dem Material in die Gasphase migrieren.
Wichtiger denn je ist die Strukturaufklärung der detektierten Verbindungen, um ein mögliches toxisches Gefährdungspotenzial einschätzen zu können. Dafür wird in erster Linie eine hochauflösende Massenspektrometrie eingesetzt. Dennoch stellt sich in der Praxis oft die Frage, welcher der möglichen Strukturvorschläge nun denn korrekt ist. Und oft ist eine Zuordnung nur dann einwandfrei möglich, wenn vom Hersteller die Rezeptur bekannt gegeben wird, und man daraus Abbaureaktionen der Additive mit den nachgewiesenen Extractables in Zusammenhang bringen kann.
Auch auf mögliche Schwermetalle darf nicht vergessen werden, hier hat sich vor allem die ICP-MS oder ICP-OES bewährt. Zum Teil kann auch die Analyse auf elementare Ionen notwendig sein, die man mittels Ionenchromatographie durchführt.
„Die Dosis macht das Gift“
Um das tatsächliche Gefährdungspotenzial abschätzen zu können, werden zu den einzelnen Studienabschnitten Risikoanalysen durchgeführt. Diese beinhalten die Wahrscheinlichkeit der Migration sowie das toxikologische Potenzial. Dieses ist üblicherweise von der Konzentration abhängig, sodass grundlegend ein Grenzwert für die Leachables festgelegt werden muss. Denn finden kann man Leachables in Spuren immer. Das ist nur eine Frage der Nachweisgrenze. Von entscheidender Bedeutung ist daher die Kenntnis über die Menge an aufgenommenem Füllgut je Zeiteinheit, also z.B. das Applikationsschema von Arzneimitteln. Gesondert zu betrachten sind in der Bewertung High-Risk-Substanzen, wie z.B. Kanzerogene. Hier ist eine möglichst niedrige Nachweisgrenze entscheidend, um bereits geringste Mengen zu detektieren und Gesundheitsrisiken für den Patienten zu minimieren.